Florian Cramer on Tue, 10 Feb 2004 02:34:11 +0100 (CET)


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Re: [rohrpost] Re: [n0name] TELEPOLIS: Mehr als Gewinnspiele


Am Dienstag, 10. Februar 2004 um 01:49:19 Uhr (+0100) schrieb Matze Schmidt:
 
> > Tilman Baumgärtel   08.02.2004 
> 
> > Reboot.fm soll "jenen Radiosender vorstellbar machen und dauerhaft zu 
> > etablieren, der in Berlin so offensichtlich fehlt. Einen Sender, der 
> > Formate erlaubt, die im heutigen Formatradio nicht vorkommen, dessen 
> > Nachrichtenprogramm sich nicht auf das Verlesen von Agenturmeldungen 
> > beschränkt, dessen Musikprogramm mehr bietet als bloß die größten Hits 
> > vergangener Dekaden, und dessen Vorstellung von Partizipation über die 
> > Veranstaltung von Gewinnspielen hinausgeht." 

Bei aller Sympathie für reboot.fm scheint mir dies doch übertrieben. In
Berlin sind empfangbar:

- drei Kultursender, die Wortprogramme, Features, Hörspiele, klassische
  und experimentelle Musik senden: Deutschlandradio Berlin, Deutschlandfunk
  Köln, Radio Kultur (RBB), letzteres zugegebenermaßen mit einem
  gerade kaputtreformiertem Programm. Mit Wolfgang Hagen gibt es 
  beim Deutschlandradio Berlin einen medientheoretisch und -experimentell
  sehr kompetenten Kultur-Chefredakteur.

- ein Multikultur-Sender: Radio Multikulti (RBB)

- zwei Popsender mit gehobenen Anspruch: Fritz und Radio Eins (beide
  RBB)

- ein recht gut gemachtes Nachrichtenradio, das Inforadio vom RBB

- das UniRadio Berlin von 19-21 Uhr mit experimentellen Sendungen am
  Wochenende und freien Sendeslots, die bei Interesse (und vorhandenem
  Studentenausweis) genutzt werden können.

- im Kabel außerdem einen Offenen Kanal als freie Spielwiese (der
  immer noch mehr Empfänger erreicht als ein auf den Bezirk Mitte
  begrenzter Antennensender) sowie den öffentlich-rechtlichen
  Kultursender SWF/SW/SR 2

Bisher sind alle Versuche, freie Radios in Berlin zu etablieren (z.B.
Radio 100 in den späten 1980er Jahren), daran gescheitert, daß der
finanzielle und logistische Aufwand des Betriebs eines Radiosenders -
den ich als Dozenten-Betreuer einer Literatursendung im Berliner
UniRadio gut kenne - in keinem Verhältnis zur Zielgruppen-Hörerschaft
steht, zumal dann, wenn es anspruchsvolle Alternativprogramme aus
öffentlich-rechtlicher Hand gibt. 

Bei allem Respekt für das Engagement der reboot.fm-Macher frage ich mich
daher, ob es noch zeitgemäß ist, "kleine Medien" unter den
Produktionsbedingungen von Massenmedien (mit von Landesmedienanstalten
lizenzierten Frequenzen, teuren Standleitungen zu Funkhäusern etc.) zu
betreiben und zeitaufwendig produziertes Material temporär im Äther von
Berlin-Mitte verpuffen zu lassen. In den Brecht- und
Enzensberger-inspirierten 1970er und 1980er Jahren gab es dazu keine
Alternative, heute, so sollte man denken, stellt das Internet die
geeignetere Infrastruktur bereit??? (- Zumal man in ihm Information
nicht nur übertragen, sondern auch speichern kann und so vom Diktat der
Sendezeit wegkommt, digitale Information - z.B. mp3-Tonaufnahmen -
auch digital versenden und somit weiterbearbeitbar machen kann, Texte
und Sendemanuskripte als Texte such- und kopierbar ablegen kann; alles
Dinge, die im öffentlich-rechtlichen Rundfunk aus urheber- und
lizenzrechtlichen Gründen nicht oder nur teilweise möglich sind.)

-F

-- 
http://userpage.fu-berlin.de/~cantsin/

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