krystian on 8 Mar 2001 22:21:09 -0000


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[rohrpost] SPIEGEL ONLINE - Interview mit Naomi Klein: "Wir sind doch auch schon privatisiert"


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Hi, hier ein weiteres Naomi Klein-Interview. Gruss, Krystian

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Interview mit Naomi Klein: "Wir sind doch auch schon privatisiert"
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Die kanadische Journalistin Naomi Klein schürt mit ihrem Buch "No
Logo!" das Bewusstsein für die Alltagsmacht der Marken. Im Gespräch
mit SPIEGEL ONLINE ruft sie zu mehr Gemeinschaft und Solidarität im
Kampf gegen die Werbeslogans der Großkonzerne auf.

Von Constanze Semidei 


SPIEGEL ONLINE: Frau Klein, wenn Werbung mittlerweile fester
Bestandteil unserer Kultur ist, ist es dann nicht besser, die
Diskussion über die Todesstrafe auf Benetton-Werbeplakaten zu führen
als gar nicht? Die Kampagne brachte immerhin einen großen Streit in
Gang.

Naomi Klein: Ich bin da eher unentschieden. Es ist in vieler
Hinsicht ein Zeichen dafür, dass die Politik am Ende ist, wenn es
eine Pulloverfirma braucht, um über so wichtige Dinge zu reden.
Bilder von blutgetränkten Uniformen oder Todeskandidaten rütteln
natürlich auf, aber da keine politische Kampagne, kein wirkliches
Engagement dahinter steht, trägt es nur zur Desensibilisierung
unserer Gesellschaft bei. Die Welle von ethisch engagierten
Unternehmen scheint auch schon wieder vorbei zu sein. Benetton hat
seinen Chef-Kreativen Oliviero Toscani rausgeschmissen, und bei Body
Shop haben die Shareholder auch gesagt, wir wollen Schaumbad
verkaufen und nicht Politik. Diese Fälle zeigen, wie es um die
Aufrichtigkeit solcher Firmen bestellt ist.

SPIEGEL ONLINE: Wann hat sich Ihre Einstellung zu Marken eigentlich
geändert?

Naomi Klein: Als ich zur Universität ging, hatte es gerade
angefangen, dass Werbung in die Schulen eindrang. Das hat mich
erschreckt, denn Unis und Schulen waren die letzten verbliebenen
Plätze, wo man uns Jugendliche als Bürger und nicht als Konsumenten
behandelte.

 SPIEGEL ONLINE: Gab es ein echtes Schlüsselerlebnis?

Klein: Nein. Um das gleich zu sagen: Ich interessiere mich nicht so
sehr für Marken, das ist nur ein Aufhänger. Mein Buch ist eher eine
Sozialkritik, die von der Veränderung der Arbeit und dem Leben
handelt.

SPIEGEL ONLINE: Große Konzerne wie Nike und Coca Cola sind ein
amerikanisches Phänomen, ebenso der Protest gegen sie. Warum gibt es
nichts Ähnliches in Deutschland?

Klein: Protest braucht einen persönlichen Zugang, und jede Kultur
hat ihren eigenen. Die amerikanische Gesellschaft ist sehr auf Marken
und Prominente fixiert. Nike ist eng verbunden mit dem
Basketball-Idol Michael Jordan, und mit dem identifizieren sich
viele. So fängt es an.

SPIEGEL ONLINE: Wie kann das hier funktionieren?

Klein: Die Leute finden etwas, das sie persönlich interessiert. In
Deutschland sind das vielleicht eher Verbrechen an der Umwelt als die
Herstellung von Turnschuhen. Der Protest gegen Shell und Brent Spar
war hier sehr stark. Oder 1993, da haben deutsche Verbraucher,
organisiert von Greenpeace, die kanadische Holzindustrie attackiert,
wegen der Abholzung uralter Wälder. Sie haben sich ganz einfach an
die Zeitungen und Verlage gewandt, damit die das Papier nicht kaufen.

SPIEGEL ONLINE: Wie kann man sich gegen das Vordringen der großen
Konzerne und ihrer Werbung wehren?

Klein: In letzter Zeit hat sich eine große Privatisierung vollzogen,
gerade der öffentlichen Plätze in den Städten. Schauen Sie sich den
New Yorker Times Square an, eine einzige Werbefläche! Ebenso wird der
geistige Raum okkupiert. Utopien werden zu Werbeslogans und so
weiter. Und letztlich sind wir doch auch schon privatisiert. Man
betrachtet uns nur noch als Konsumenten und Investoren statt als
Mitglieder einer Gesellschaft, die gemeinsam handeln. Wir müssen also
über Wege nachdenken, wie man Raum zurückerobern und verteidigen
kann.

 SPIEGEL ONLINE: Was schlagen Sie vor?

Klein: Auf lokaler Ebene gibt es viele Möglichkeiten: Man kann die
Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen bekämpfen oder dagegen
vorgehen, dass Konzerne in die Schulen eindringen.

SPIEGEL ONLINE: Aber das heißt, dass die Menschen sich
gesellschaftlich mehr engagieren müssten und weniger Privatmensch
sind.

Klein: Genau das ist es. Wir müssen uns informieren und uns aktiv
einbringen. Ich weiß, dass das viel verlangt ist, aber so
funktioniert Demokratie.

SPIEGEL ONLINE: Gibt es eine Liste, zum Beispiel im Internet, wo
Firmen aufgeführt werden, deren Unternehmenspolitik besonders
schändlich ist?

Klein: Corporate Watch hat so eine Liste. Dort werden jährlich die
zehn schlimmsten Unternehmen genannt. Aber in den USA geht der
Protest weg vom Boykott einzelner Firmen. Die Aktivisten beschäftigen
sich mittlerweile eher mit dem IWF und der Welthandelsorganisation.

SPIEGEL ONLINE: Wie können die denn attackiert werden?

Klein: Nun ja, man kann entweder auf die Straße gehen oder in eine
Organisation. In Seattle war das Ziel der Demonstranten, die
Verhandlungen über den Freihandel in Amerika zu stören. Sie haben
eine öffentliche Diskussion angeheizt und sich nicht einschüchtern
lassen.

SPIEGEL ONLINE: Hat sich daraufhin auf Unternehmensseite etwas
verändert ?

Klein: Schwer zu sagen. Zweifellos hat der Protest die Firmen stark
angegriffen. Sie sprechen immerhin eine ganz neue Sprache: In Davos
ging es viel um die Teilung der Welt in Arm und Reich. Als ich mit
meinen Untersuchungen anfing, haben die gleichen Leute noch nicht
einmal eingestanden, dass es derartige Probleme auf der Welt
überhaupt gibt! Die WTO sagte damals, alles, wofür wir uns
interessieren, ist die Steigerung von Profit, und heute stellen sie
sich als die Armutsbekämpfer dar. Andererseits, wenn man bedenkt, was
gerade in Südafrika abläuft...

SPIEGEL ONLINE: ...wo Pharmaunternehmen die Regierung verklagen,
dafür dass sie erschwingliche Aidsmedikamente einführen wollen...

Klein: ...das ist schon unglaublich. Ich glaube nicht, dass
Unternehmen so etwas wie ein Gewissen haben. Sie machen das, was
ihnen die Shareholder sagen. Und die sagen, der Umsatz muss steigen!

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Kontext:

 - Naomi Kleins "No Logo!": Brandzeichen im Kopf
   http://www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,120997,00.html

Im Internet:

 - Corporate Watch - Organisation gegen multinationale Konzerne
   http://www.corporatewatch.org/



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