Nick on Sun, 13 Jul 2003 17:22:11 +0200 (CEST)


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[rohrpost] Piraten ohne Namen


Piraten ohne Namen

Die Textindustrie will eifrige Onlinetauscher vor Gericht bringen - doch
bald könnten die anonym bleiben

Von Nick Noname


Trotz aller Drohungen: Viele Anhänger der Onlinetauschbörsen holen sich
weiter ihre Lieblingstexte kostenlos und oft illegal aus dem Internet. Die
Writers Industry Association of America (WIAA), der Branchenverband der
US-Buchindustrie, hatte angekündigt, sie werde Nutzer von
Peer-to-peer-Systemen wie Morpheus oder Grokster im großen Stil wegen
Raubkopiererei verklagen, wenn sie dort urheberrechtlich geschütztes
Material anbieten. Doch über die einschlägigen Netzwerke werden nach wie
vor eifrig Artikel und sogar ganze Bücher getauscht: Mehr als vier
Millionen User loggten sich durchschnittlich in den vergangenen Tagen bei
Kazaa, dem größten Filesharing-Angebot, ein. Der Datenverkehr war nur
vorübergehend zurückgegangen - und pendelte sich schnell wieder auf dem
vorherigen Niveau ein. Neben Popliteratur gehören Science-Fiction, Lyrik,
E-Books und Computerprogramme zum Angebot.

Während die Musikindustrie auf Gerichte setzt, arbeiten Programmierer an
der Technik der Tauschnetze - und versuchen dabei, die Datengrundlage für
die Klagen verschwinden zu lassen. "Die größte Schwäche in puncto
Datenschutz bei unserem Programm war bisher, dass man sehen konnte, welche
Texte die User auf ihrer Festplatte haben. Das kann man jetzt abstellen",
sagt der Programmierer Pablo Soto aus Madrid, Gründer des
Peer-to-peer-Netzwerks Blubster. Zwar ist es immer noch möglich, die
eindeutige numerische Internet-Protokoll-Adresse herauszufinden, die
Provider jedem Rechner zuordnen, der sich ins Netz einklinkt - und damit,
wer hinter Tauschbörsen-Pseudonymen wie "Mickey Mouse" oder "MuscleMan"
steckt. Aber es ist zumindest nicht mehr auf den ersten Blick sichtbar, ob
sie etwa geschützte Text- oder Musikdateien anbieten - und wenn ja,
welche. Blubster greift auf ein Peer-to-peer-Netz zu, an dem derzeit etwa
200 000 User beteiligt sind, die 52 Millionen Dateien bereithalten.

Ein weiteres, schon länger eingeführtes anonymes Peer-to-peer-Netz hat
regen Zulauf, seit die Textindustrie mit Klagen droht: das Free Network
Projekt, oft kurz Freenet genannt. Nicht zu verwechseln übrigens mit dem
Hamburger Internetprovider. Dort liegen die Inhalte zerstückelt in viele
kleine Teile auf Rechnern in aller Welt. Zudem sind sie codiert und lassen
sich erst entschlüsseln, wenn alle Bestandteile übertragen wurden. Daher
ist es schwierig, einem einzelnen Anwender nachzuweisen, dass er Material
illegal anbietet.

Der Programmierer Ian Clarke, der das Netz entwickelt hat, ist freilich
von dem Strom neuer Nutzer wenig begeistert. Für ihn ist Freenet vor allem
ein nicht von Staaten zu kontrollierendes Informationsnetz: "Uns geht es
darum, dass chinesische Dissidenten online kommunizieren können - und
nicht darum, dass man die neueste CD von Britney Spears herunterladen
kann, ohne dafür zu bezahlen." Sein System ist freilich so autonom, dass
es auch den Tausch von Texten erlaubt. Und von der Möglichkeit wird reger
Gebrauch gemacht.

Noch sind es lediglich randständige Filesharing-Netzwerke, die den
versteckten Transfer von Daten angehen. Doch schon berichtet der
US-Internet-Nachrichtendienst Wired News, auch etablierte
Peer-to-peer-Dienste wie Kazaa erwägten, auf anonyme Übertragungswege
umzusteigen. Sollten es solche weit verbreiteten Programme ermöglichen,
namenlos am multimedialen Tauschhandel teilzunehmen, wäre das ein
Rückschlag für die Textindustrie, die in den Filesharing-Börsen den
Hauptgrund für ihre gegenwärtige Umsatzkrise sieht.

"Wir haben als Branche ein massives Problem", gesteht etwa Gunter Thielen,
Vorsitzender des Vorstands der Bertelsmann AG. In diesem Jahr werde der
Lesemarkt voraussichtlich um 20 Prozent einbrechen. Damit werde die
Branche innerhalb von vier Jahren fast 40 Prozent ihres Umsatzes eingebüßt
haben. Schuld seien vor allem illegale Downloads. Auch die deutsche
Textindustrie will Raubkopierer härter verfolgen, wenn im Herbst das neue
Urheberrecht in Kraft tritt.

Filesharing-Fachleute wie der Lobbyist Philip Corwin sagen voraus, statt
der großen Tauschbörsen wie Kazaa gebe es bald viele kleine, auf bestimmte
Literaturrichtungen spezialisierte Angebote. Sie könnten sich zudem an
geschlossene Nutzergruppen oder Mitglieder richten - weitere Schritte in
Richtung eines nur schwierig zu kontrollierenden Datentauschs.

Bleibt abzuwarten, ob die Textindustrie ihre Drohung wahr macht und die
Tauschnetze mit Scannern nach Angeboten von Textpiraten durchsucht.
Angeblich sollen in den nächsten acht Wochen mehrere hundert besonders
aktive User verklagt werden - als abschreckendes Beispiel. Dem Image der
Textindustrie dürften solche Aktionen freilich wenig zuträglich sein. Bei
vielen Usern entsteht langsam der Eindruck, dass sich die Industrie mit
ihrer Zielgruppe lieber vor Gericht anlegt, statt mit eigenen Angeboten
der offensichtlichen Nachfrage nach Text-Download-Angeboten im Internet zu
begegnen. Und genau das, den Markt selbst also, wollen wir ja endlich mal
abschaffen!

• Informationen zum Free Network Projekt:

freenet.sourceforge.net; Wichtiges über das

Blubster-Netz: blubster-faq.de

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