nick on Fri, 3 May 2002 10:49:20 +0200 (CEST)


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[rohrpost] Die Kulturarbeiter, die sich in diesen Tagen der Anti-CounterstrikeArmee gegenübersehen, werden kaum in das Lied über die Immaterialität von global governance im Zeitalter des Internet einstimmen. & wieder einRhizom


Die Kulturarbeiter, die sich in diesen Tagen der Anti-Counterstrike Armee
gegenübersehen, werden kaum in das Lied über die Immaterialität von global
governance im Zeitalter des Internet einstimmen. & wieder ein Rhizom


http://www.jungewelt.de/2002/05-02/018.php

02.05.2002
 Feuilleton Monika Krause

Alles oder nichts?   »Empire«-Schulung (2): Die neue Herrschaft   Die
Feministin Judith Butler hat einmal gesagt, Michel Foucault würde sich zur
Geliebten eignen, nicht aber zur Ehefrau. Negri und Hardt haben diesen Rat
ignoriert und sind die analytisch und politisch gefährliche Ehe mit dem
französischen Philosophen eingegangen. Mit Foucaults Analyse der Biopolitik
übernehmen sie einen Machtbegriff, der weder zur Herrschaftskritik noch zur
Revolutionsberatung so recht geeignet ist. Das Empire, lautet ihre These,
ist die historische Fortsetzung und Perfektionierung dessen, was Foucault
in seinen Büchern über das Strafen und die Sexualität als
Disziplinargesellschaft analysierte. Die Formen der Kontrolle, die früher
auf Institutionen wie das Gefängnis beschränkt waren, haben sich in den
letzten Jahrzehnten weltweit in der ganzen Gesellschaft ausgebreitet. Macht
ist in der Organisation der kapitalistischen Produktion und der globalen
Politik dezentriert. Sie wirkt nicht mehr von außen auf die Menschen ein.
Die, die ihr unterworfen sind, haben sie vollkommen verinnerlicht. Macht
richtet sich auf das Leben selbst, Subjektivität ist eines ihrer Instrumente.

Macht, wie Foucault und, ihm folgend, Hardt und Negri sie sehen, ist
überall: »Es gibt kein außerhalb von Macht.« Niemand besitzt sie. Sie kommt
nicht von oben, sie beschränkt sich nicht auf das Verbieten. Macht ist
produktiv und konstituiert ihr eigenes Objekt. Sie ist wie ein kalter
Nebel, der »die Gesamtheit der sozialen Beziehungen durchdringt«. Ein
solches Konzept von Macht stößt auf Probleme, wenn es darum geht,
spezifische Formen von Gewalt und Herrschaft analytisch zu erfassen. Es
überrascht nicht, daß Hardt und Negri die andauernde Macht der
Nationalstaaten als Unterdrückungsapparate unterschätzen. Sie folgen dem
Globalisierungsdiskurs in dieser Hinsicht unkritisch. Die Aktivisten, die
die Gewalt des Staates täglich bei Demonstrationen und die Migranten, die
sie bei Abschiebungen erleben, könnten ihnen eine andere Geschichte
erzählen. Auch die Palästinenser, die sich in diesen Tagen der israelischen
Armee gegenübersehen, werden kaum in das Lied über die Immaterialität von
global governance im Zeitalter des Internet einstimmen.

Hardt und Negri betonen, das neue Weltreich habe kein Rom. Es mag gerade
heute wichtig sein, einem simplen Anti-Amerikanismus eine Untersuchung der
kapitalistischen Strukturen entgegenzusetzen. Und doch ist es gefährlich,
die aktive Rolle der amerikanischen Regierung und anderer Fraktionen der
herrschenden Klasse, wie etwa des IWF und der Weltbank in der Analyse
vollkommen zu vernachlässigen. Der radikale Strukturalismus à la Foucault
kann schnell zum Funktionalismus werden. Wenn Hardt und Negri schreiben,
die Gesellschaft sei »wie ein einziger sozialer Körper einer Macht
subsumiert, die hinunterreicht bis in die Ganglien der Sozialstruktur«,
scheinen sie sich der biologischen Metaphern nicht zu schämen. Die
Gesellschaft erscheint als ein Organismus. In gut konservativer Weise wird
Macht zum Kitt, der das soziale Ganze zusammenhält. Für Widersprüche und
Krisen im System, für Handeln und radikale Veränderung läßt das auf der
theoretischen Ebene wenig Raum.

Diese theoretischen Vorentscheidungen haben nicht zuletzt schwerwiegende
Konsequenzen für Hardt und Negris explizites politisches Programm. Auf der
einen Seite klagen die Autoren von »Empire« viele existierenden politischen
Bewegungen in pseudoradikaler Weise an, Komplizen der herrschenden Macht zu
sein. Auf der anderen Seite suggerieren sie, die Multitude, die Menge der
Kreativen, müsse sich nur im Schlaf räkeln und schon fielen die
Machtstrukturen des Empires von ihr ab, wie die zu eng gewordene Haut einer
Schlange. Anders gesagt: Protest und Widerstand werden entweder unmöglich
oder beliebig.

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