Krystian Woznicki on 14 Nov 2000 17:06:18 -0000


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[rohrpost] Berliner Gazette, 15.11.


Boulevard - Aktivismus
oder: >>Sie sind sauer auf eine Firma, einen Politiker, einen Sportler oder 
einen Star?<<

Stars und Promis ziehen nach Berlin [1]. Da darf natuerlich die Boulevard 
Presse nicht fehlen. Zwei Hamburger sind seit diesem Jahr in der Hauptstadt 
und haben ihre sensationsgeilen Fuehler ausgestreckt, um >>schnell und 
gnadenlos<< [MAX] ueber Skandale im Entertainment- und Wirtschaftssektor zu 
berichten. Deftige Schlagzeilen bestimmen das Layout von www.thema1.de. Am 
9.11. kams gleich ganz dicke: >>Basic Instinct II: Horrorsexgott Cronenberg 
darf Sharon Stones Beine spreizen<<, >>Mc-Donalds schuld an Mutation? - 
Monsterratten ueberfallen England<< und >>Kuessen nur noch mit Gummi - 
Herpes 8 auf dem Vormarsch - endet in Aids-Hautkrebs<< [2] lauteten die 
Headlines.

Dekoratives Design? Gibt es nicht. Schwarz-weisse Buchstaben regieren die 
Seite. Ein zentrales Bild zum Aufhaenger, ansonsten ordnende Leere. 
Schnelle Ladezeiten kommen dem schnellen und immer auch >gefaehrlichen< 
Journalismus entgegen. Schnell auch, weil flink, jung und dynamisch. In 
Schroeders Jungbrunnen-Republik sind auch die thema1-Macher gefallen: 
Brandeins LeserInnen werden zumindest Jacob Bilabel kennen - er ist 
thema1-Geschaeftsfuehrer und Redakteur in Personalunion. Mit seinem 
Irokesenhaarschnitt vermittelt er den bundesweit verordneten Start 
Up-Katechismus.

Und waehrend ihm der DIY-Spirit [3] in Form von Schweisstropfen von den 
wunden Fingerkuppen perlt, fordert er zum Mitmachen auf, ohne Ruecksicht 
auf Verluste. Das Internet wird zur willigen Plattform fuer 
Skandal-Fabrikation erklaert und Leser zu potentiellen 
Paparazzi-Schnuefflern. So kann man nicht nur ueberall seine Meinung zu 
kontroversen Themen abdruecken, sondern auch selbst eigene zur 
Exklusiv-Story gefilterte Informationen online stellen. Und noch viel 
mehr: >>Sie sind sauer auf eine Firma, einen Politiker, einen Sportler oder 
einen Star?<< fragen die Macher und versprechen: >>Wir geben Ihnen die 
Moeglichkeit, Ihrer Wut Luft zu machen. Wir werden Ihre Mail an die 
betreffenden Personen oder Institutionen direkt weiterleiten<<.

Sauer? Michael Douglas [5] skizziert in der letzten Ausgabe des SZ-Magazins 
[6] das Szenario seines Alltags folgendermassen: >>Uns lauern rund um die 
Uhr Leute vor dem Haus auf. Typen mit militaerischen Abhoergeraeten 
versuchen, die Frequenz unseres Babyphones rauszukriegen. Wir haben die 
Kontrolle verloren.<<

Darf man sich die DIY - Boulevard - Presse als Schlichter in diesem 
medialen Vorgarten-Krieg vorstellen? Wird sich jetzt die Low-Tech-Guerilla 
in Puff Dadys Swimming-Pool tummeln, um die Meldungen nicht mehr den 
dominanten, mit Millionen Budgets finanzierten Blaettern zu 
ueberlassen? >Emanzipation von Unten< haette so manch einem, der in letzter 
Zeit durch den Schlamm gezogen wurde, helfen koennen. Gelesen hat es, doch 
hat das Volk auch gesprochen, als Christoph Daum demontiert wurde? Dabei 
geht es nicht nur um einzelne Figuren, sondern um einen Trend in der 
deutschen Medienlandschaft. Es soll mal wieder richtig sauber werden. Und 
Dreck ist, wer querschiesst, querdenkt oder eben queer ist. Von Christoph 
Daum bis Franz-Josef Wagner, sperrige Individualisten werden ausgemustert. 
Was bleibt ist Doepfner und Beckenbauer. Muessen wir uns das gefallen 
lassen? Wie sehr es uns dabei ans Leder geht, davon zeugen auch juengste 
Versuche der Bild Zeitung [7] neue Zielgruppen zu rekrutieren. Neonreklame, 
Leichtfuessigkeit, Coolness: Hippe Kids taumeln durch die neuen Werbe - 
Clips. Der Durchschnittsbuerger wird verjuengt und cyberisiert. Kein 
schlechter Zeitpunkt also fuer Boulevard-Aktivismus!

1. http://www.brandeins.de/08/magazin/was_menschen_bewegt/artikel1_1.html
2. http://www.thema1.de/index.php3?F=Archiv
3. http://www.ljudmila.org/nettime/zkp4/72.htm
4. http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_2000/45/24a.htm
5. http://www.michaeldouglas.com
6. http://www.sz-magazin.de
7. http://www.netzeitung.de/servlets/page?section=13&item=120099

Fuer die kommenden Tage sind folgende Termine in Deinen Kalender aufzunehmen:

Mi - 15.11.

P o d i u m : Unter dem Titel >>Cyberland is our Land<< wird das 
Kuenstlerpaar Elisa Rose und Gary Danner [http://www.STATIONROSE.com] mit 
den Sounds und Visuals, die sie im Gepaeck haben, einen Rueckblick auf 
seine 18jaehrige Kooperation als >Multimediaband< geben. 18 Jahre 
Lebenszeit, in denen die beiden eine ganz eigene multimediale Sprache 
entwickelt haben, bestehend aus Icons, Sounds, Graphics und Licht. Im 
Anschluss an das Panel eroeffnet die STATIONROSE Lounge mit Sounds von Gary 
Danner und Visuals von Elisa Rose. @FILESHARING 
[http://www.filesharing.de], Raumerstrasse 40, 20 Uhr.

Do - 16.11

V o r t r a g : Zugang zu Videoausruestungen und -studios, Kontakt mit der 
internationalen Szene und insgesamt noch wenige Akteure, die experimentelle 
Videos (Animation, CD-ROM), Video - Installationen und Video-Performances 
machen: Dan Mihaltianu bietet unter dem Titel >>Videogramme<< einen 
Ueberblick ueber die rumaenische Videoszene der 90er. Ort: ifa-Galerie 
Berlin [http://www.ifa.de], Neustaedtische Kirchstr.15, 19 Uhr

Sa - 18.11

I n i t i a t i v e : Die Netd@ys Berlin 2000 
[http://www.netdays-berlin.de] stehen unter dem Motto >>Die neue Art ins 
Netz<<. In mehr als 500 Veranstaltungen werden die Vorteile von Internet 
und Multimedia in Schule und Ausbildung veranschaulicht. Angesprochen sind 
vor allem Kinder und Jugendliche, aber auch alle anderen, die sich fuer die 
Neuen Medien interessieren. Ziel der Netd@ys Berlin ist es, 
Chancengleichheit bei der Nutzung digitaler Techniken zu foerdern und der 
Gefahr einer Spaltung der Gesellschaft vorzubeugen. Die Netd@ys Europa sind 
eine Initiative der Europaeischen Kommission, in Berlin stehen die Netd@ys 
unter der Schirmherrschaft des Senators fuer Schule, Jugend und Sport, 
Klaus Boeger.

So - 19.11.

D i s k u s s i o n : Unter dem Titel >>Kill the agenda. Rassismus in 
Zeiten eines Einwanderungsgesetzes<< laedt Kanak Attak zu einem 
Diskussionsabend mit Gaesten ein. Noch im Licht der sommerlichen 
Debatten >>gegen Gewalt und Intoleranz<<, die der rassistischen 
Alltaeglichkeit hauptsaechlich Hohn sprachen, faellt ein langer Schatten 
auf die staatliche Debatte um ein Einwanderungsgesetz, das die Koordinaten 
fuer einen neuen Rassismus erheblich mitprogrammieren wird. Kanak Attak 
moechte ein Gespraech aus der Perspektive vor allem von MigrantInnen 
darueber, wie jene Elemente zu staerken waeren, die die Wirkungsweisen des 
Rassismus attackieren und gleichzeitig eine Option jenseits rassistischer 
Zwaenge erkaempfen. Ort: metrogap, Mariannenstr. 32, 18 Uhr.

Bis naechste Woche,

Krystian Woznicki
mailto:krystian@snafu.de

PS: Ab dem 21.11 werden sechs junge Berliner Existenzgruender beim Aufbau 
einer eigenen Berliner Firma [http://www.berlincubate.de] live im Internet 
gezeigt. Ein halbes Jahr lang werden die Jungunternehmer taeglich bei der 
Umsetzung ihrer Ideen von einer Kamera aufgenommen. Sie arbeiten 
selbstverantwortlich als Vorstaende ihrer eigenen Aktiengesellschaft. Sie 
erhalten zum Start ihrer Firma ein Stammkapital von 100.000 DM. Neben 
Arbeitsraeumen in der Frankfurter Allee wird eine Wohnung und Verpflegung 
gestellt, sowie ein monatliches Gehalt gezahlt. Schirmherr des Projektes 
ist der Berliner Senator fuer Wirtschaft und Technologie, Wolfgang 
Branoner. Das Projekt wird geleitet von dem Start-Up-Experten Peter Jungen 
und der Agentur Friends & Sons. Sponsoren wie Fujitsu Siemens, Warenstrom 
oder mediaspace unterstuetzen die Neugruender.

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