Volker Grassmuck on Sat, 3 Jun 2000 15:09:51 +0200 (CEST)


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Re: [rohrpost] Re: Netzpolitik


On 29 May 00 at 18:28, Reinhold Grether wrote:

...

> Den Abschnitt ueber Informationsbewirtschaftung habe
> ich inzwischen so umformuliert:
> "(....) Muss die Information zudem zunaechst erzeugt
> werden, treten die Theorie der Eigentumsrechte, die einen
> steileren Wissensproduktionspfad bei privaten
> Verwertungsrechten voraussagt, und die OpenSource-
> Theorie, die komparative Entwicklungsvorteile durch
> prestigegesteuerte Kooperationsketten erwartet, in offene
> Konkurrenz. Wahrscheinlich ist eine optimale
> Informationsproduktion und -distribution, die Informationen
> sowohl rasch erzeugt als verteilt, nur in einem staendig
> neu auszuhandelnden hybriden Mix aus Eigentumsrechten
> und Open Source und aus partieller Informationsbewirtschaftung
> bei weitgehendem freien Informationszugang erreichbar.
> Generelle Loesungen erwecken hier die meisten Zweifel."
>
> Hoffe, die Oekonomen auf der Liste stampfen die Theorie
> der Eigentumsrechte in Grund und Boden. Die Chancen
> dazu stehen im Feld der Information nicht schlecht.
> (Gibt's auch akademische Meriten dafuer.)

was juristisches dazu: dieser Mix liegt ohnehin jedem Immaterialrecht
(kontinentaleuropäisches UrhR, angloamerik. Copyright, Patentrecht)
zugrunde. Zentral ist hier der Begriff der Balance, und zwar zwischen
dem Schutzinteresse der Autorinnen und dem Interesse an Zugang durch
die Allgemeinheit. Daß letzteres nicht erst von der freien
SW-Bewegung erfunden wurde, sondern erklärtes Ziel der
Immaterialrechte ist, wird in der Debatte häufig übersehen. Die
Verwerter haben gegenüber diesen beiden Parteien nur abgeleitete,
sekudäre Rechte, faktisch dominiert die Rechteindustrie jedoch die
Dynamik dieser Balance (z.B. Mickey-Mouse-Gesetz zur Ausdehnung der
Copyright-Schutzfrist auf Life + 95 Jahre in US: die
Wissensexplosion führt zu einem immer schnelleren Veralten von
Wissen, also sollte man erwarten, daß auch die Schutzfristen
kürzer, nicht länger werden).

Statt eine Frontalkonfrontation von Theorie der Eigentumsrechte und
OpenSource-Theorie zu behaupten, die aus div. Gründen nicht stimmt
(Florian hat den wichtigsten genannt: Copyleft = Copyright +
Nutzungslizenz), halte ich es für strategisch klüger, UrhRs-immanent
zu argumentieren und die darin enhaltenen Werte zu stärken. Wie Du
schreibst -- das sieht auch die Rechtsdogmatik so -- muß diese
Balance gegenüber neuen Technologien (Internet, MP3, DVD etc.) immer
wieder neue ausgehandelt werden.

Eine wichtige Schlagrichtung geht dagegen, das UrhR in eine
Investionsschutzrecht zu verkehren (z.B. EU-Datenbank-Direktive),
oder allgemeiner: gegen das wachsende Übergewicht der Verwerter, dh.
gegen den Effekt, daß zunehmend der Schwanz mit dem Hund wedelt. Die
gradezu panischen Lobbying- und Technologieaktivitäten der
Rechteindustrie haben sicher damit zu tun, daß das Internet sie
potentiell überflüssig macht (cutting the middleman out).
Zugestanden, daß das Inet Autorinnen und Nutzer ohne Vermittlung in
Kontakt bringt, bleibt in ihrer Argumentation nur ein 'Mehrwert', den
sie produzieren: Marketing (Branding (Gütesiegel für ein Werk, das
unter einen Markennamen gestellt wird), Produktion von (Super-) Stars
etc.), aber auch dafür gibt es Alternativen (Nutzer-Ratings, Agents,
Links ua. Verweise). Die freie SW ist ein prima Beispiel dafür, wie
etwas ohne Marketing 'Mindshare' erlangen kann.

Da ich grad dabei bin: Bei der Diskusion um Eigentum werden auch
Sachenrecht und Immaterialrecht immer wieder durcheinandergeworfen
(durchaus auch in rechts- und tech-literaten Kreisen, wie vor 3 Tagen
in Tutzing). Es gibt zwar übergreifende Prinzipien (Sozialbindung),
dennoch handelt es sich um zwei kategorial verschieden Rechtsgebiete,
Übertragungen aus ersterem in zweiteres (z.B. Almende-Dilemma) sind
unzulässig.

Noch etwas zu ökonomischen Produktions-Anreiz von und freiem Zugang
zu Werken: die allermeisten Autorinnnen verdienen ein Mal, nämlich
durch den Erstveröffentlichungkontrakt mit einem Verwerter. Danach
bekommen sie über die Verwertungsgesellschaften allenfalls ein
besseres Taschengeld (zum extremen Verteilungsgefälle der Tantiemen
zwischen Stars und Rest s.u.). Eine fundamentalistische
Argumentation könnte also zielen auf: radikale Verkürzung der
Schutzfristen (wobei die Frist für die Urheberpersönlichkeitsrechte
für die Lebensdauer der Autorin beibehalten werden könnte),
vielleicht Erschöpfung mit der Erstveröffentlichung, freies Kopieren
für Bildungs- und andere nicht-kommerzielle Verwertung +
Leermedienabgabe + Lizenzgebührenpflicht für gewinnorientierte
Verwertung (SW in der Produktion, Musik in einem kommerziellen Club.
Andy Müller-Maguhn: "Produktionsmittel dürfen kosten, Lernmittel
nicht.") Da die Rechteindustrie ohnehin mit einem gewissen Grad an
'Durchlässigkeit' rechnet (MS z.B. den indischen Schwarzmarkt selbst
mit Not-For-Resale-Kopien versorgt, um 'Kundenbindung' aufzubauen),
wäre die Idee eigentlich gar nicht so radikal. Es ginge nur drum, den
de fact-Zustand in einen de jure-Status zu überführen.

Gruß
Volker


PS.: Martin Kretschmer auf dem MICAFOCUS 1, März 2000, Wien:
"Wir hören ja immer: 'die Interessen der Majors und der Künstler sind
dieselben'. Und das wird Ihnen auch gern bestätigt - von wem? Von den
Stars. [...] 1996 gab es eine Untersuchung der britischen Monopoly
and Mergers Commission. Die Kartellbehörde hat sich die Performing
Right Society (PRS) angeschaut, die die musikalischen
Aufführungsrechte in Grossbritannien verwertet.. [...] Und was wir
natürlich sehen, ist hier, dass 10% [der Komponisten] 90% [der
Tantiemen] kriegen. [...] Das heisst: Das Gerücht, dass man als
Künstler vom Urheberrecht leben kann, ist einfach schlicht falsch.
[...] Die meisten Musiker, die meisten Künstler haben andere
Einnahmequellen, und es wäre an der Zeit, dass die Politik das
endlich versteht. Das ist so ein einfacher, belegbarer Fakt, dass
man nicht verstehen kann, dass die Europäische Kommission, das
Europäische Parlament das nicht verstehen."
<http://www.mica.at/mf_kretschmer_t.html>

Ebenfalls empfehlenswert:

Studie "The Global Music Industry in the Digital Environment" (engl.)
(pdf 157 KB) <http://www.mica.at/pdf/kretschmer_c.pdf>

"In Defense of Piracy" (engl.)(html)
<http://www.mica.at/mf_kretschmer_2.html>

"Aufwachen ist der Ausgang aus der selbstverschuldeten Müdigkeit"

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