Andreas Broeckmann on Tue, 2 May 2000 14:31:12 +0200 (CEST)


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[rohrpost] ... der werfe den ersten Stein!, Wien


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Sent: Saturday, April 29, 2000 12:12 AM
Subject: Veranstaltungshinweis / announcement







... der werfe den ersten Stein!



Künstlerische Installation im öffentlichen Raum von Wolfgang Keller

Zum österreichischen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus

6. Mai-4. Juni 2000                                          Stephansplatz,
Wien



Die Arbeit besteht aus einem 6 x 3 x 4 Meter großen Glashaus mit Holzboden,
das im hinteren Bereich von zwei Seiten betreten werden kann. Der
gegenüberliegenden Fassade ist eine hölzerne Wand vorgelagert, die - ähnlich
einem Bauzaun - die Einsicht von außen verdeckt. Im Bereich zwischen diesem
Zaun und dem Glashaus ist die Reproduktion eines Porträts von Adolf Hitler
hinter Spezialglas montiert. Dadurch wirkt das Bild durchsichtig und
reflektierend. Durch zusätzliche Spiegelungseffekte der Glaswände entsteht
für den/die Betrachter/in ein bemerkenswerter optischer Eindruck, der das
eigene Bild gleichzeitig vor, hinter und auf den Kopf Hitlers projiziert. Ob
und in welcher Beziehung dazu man sich selbst sieht, entscheidet der
individuelle Fokus.

 Die Installation "... der werfe den ersten Stein!" thematisiert als
Kunstwerk den Kontext zwischen (kollektiver) Gewaltausübung und
(individueller) Gewaltbereitschaft. In diesem Zusammenhang nimmt sie
beispielhaft bezug auf das System des Nationalsozialismus als für unseren
Kulturraum prägendes Ereignis (cultural identifier): "Die Fokussierung der
öffentlichen Diskussion auf die Person Adolf Hitlers, auf den
charismatischen Führerstaat, auf das totalitäre System, hat das Ausmaß der -
im einzelnen sehr differenzierten - Involvierung breiter gesellschaftlicher
Schichten in den Nationalsozialismus zugedeckt; insbesondere die
Verführbarkeit des Einzelnen, die eine Voraussetzung für das Funktionieren
eines solchen Systems war, ist in der Öffentlichkeit nicht genügend
bewusst." (Prof. Dr. Wolfgang Neugebauer, Leiter des Dokumentationsarchivs
des Österreichischen Widerstandes)

 Das Publikum wird somit eingeladen, Fragen der Eigenverantwortung in
Zusammenhang mit totalitären Phänomenen wie auch die Aktualität von
Ausgrenzung und Intoleranz zu reflektieren.  Die Installation wird
durchgehend von geeigneten Personen betreut, die den BesucherInnen für
Gespräche und Diskussionen zur Verfügung stehen.

 Die Präsentation der künstlerischen Arbeit wird von einem
wissenschaftlichen Symposium begleitet. Dabei sollen neben zeithistorischen
Fragen vor allem aktuelle Erscheinungsformen totalitärer Phänomene sowie
Gewaltbereitschaft, De-Solidarisierung und Intoleranz in der heutigen
Gesellschaft diskutiert werden.



Schirmherrin

Mitglied des Deutschen Bundestages, Bundestagspräsidentin a.D. Prof. Dr.
Rita Süssmuth

Architektur

Dipl.-Ing. Architekt Oliver Wilhelm, München

Projektentwicklung und -koordination

Jutta Stute, Chemnitz

Ausstellungsplan

März 1998, Kloster St. Bonifaz, Königsplatz/München (Erstaufstellung)

Mai/Juni 2000, Wien

Jänner 2001, Deutscher Bundestag, Berlin

Weitere Aufstellungen in Prag, Warschau und Paris sind in Vorbereitung

Sponsor des Glashauses

Burghard M. Brogsitter

She & BOGIE Modevertrieb GmbH

Neuss / Düsseldorf





Symposium:   "(Dis-)Kontinuitäten in gegenwärtigen Diskursen über den
Nationalsozialismus"

 Anlässlich der öffentlichen Ausstellung der Installation "... der werfe den
ersten Stein!" in Wien vom 6. Mai - 4. Juni 2000 und unter Bezugnahme auf
den österreichischen Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus im Gedenken an die
Opfer des Nationalsozialismus (5. Mai) veranstaltet der Verein ARCHE -
Plattform für Interkulturelle Projekte eine Eröffnungsveranstaltung sowie
ein dreiteiliges wissenschaftliches Symposium.



Ausgangspunkt

 Antisemitische, rassistische und fremdenfeindliche Aussagen und Maßnahmen
sowie politische bzw. gesellschaftliche Entwicklungen werden immer wieder
unter Bezugnahme auf den Nationalsozialismus als dem äußersten Referenzpunkt
verbrecherischen Denkens und Handelns bewertet. Im Diskurs nach 1945, wie
der Nationalsozialismus überhaupt möglich war, folgte auf die des
peinlich-trotzigen Schweigens und des kompletten Abschiebens der
Verantwortung auf "Hitler und seine Helfer" mit den 68ern eine
Differenzierung als "Kritik der Elterngeneration". Seither laufen beide
Diskussionsstränge mit wechselnder Intensität parallel, es gibt auch viele
Ansätze, beide zusammenzuführen. Eine dritte Art, sich auf das Thema zu
beziehen, könnte Verantwortung als Möglichkeit sein, und zwar für alle
Menschen, egal wann und wo se geboren sind.

 "...der werfe den ersten Stein!" macht alle drei Ebenen sicht-, vor allem
aber erlebbar: Führerportrait, Spiegelung des Betrachters und Spiegelung der
Spiegelung vor, hinter und auf dem Abbild. Das optische Kaleidoskop fungiert
als Sinnen-Bild für die möglichen hinEin-Sichten.

 Die Veranstaltungen des Rahmenprogramms thematisieren nicht die Person
Hitlers bzw. deren und die von ihr beeinflusste Geschichte, sondern die
aktuelle Wirksamkeit von Strukturen und Verhaltensmustern, die auf
Interpretationen des "Hitlerbildes" als Determinante (cultural identifier)
eines Wertesystems basieren:

  a.. Die Präsenz dieser Determinante in gegenwärtigen Sprach- und
Denkstrukturen im Blick auf den Diskurs über Nationalsozialismus,
Neonazismus und faschistoide Tendenzen;
  b.. Zusammenhänge zwischen Zuordnungen von Schuld bzw. Verantwortlichkeit
respektive Distanzierung und der verabsolutierten Dimension des "Bösen";
Problematik der Relativierung sowie der Differenzierung in Bezug auf
Vergleiche zwischen Nationalsozialismus und Neonazismus;
  c.. Zusammenhänge zwischen Wertesystemen und deren Legitimierung zufolge
der Definition von "gut" und "böse" in Verbindung mit der Einführung
"absoluter" Maßstäbe; Parallelität von Immanenz und Ausschluss des "Bösen":
Diskrepanz zwischen der Verurteilung des Nationalsozialismus und der
gleichzeitig ablaufenden gesellschaftlichen Integration seiner Protagonisten
nach 1945.
 Programm

 Eröffnung               Samstag, 6. Mai 2000, 19:00 - 21:30 Uhr



19:00 Uhr               Begrüßung

                                                               Dr. Richard
Schmitz, Bezirksvorsteher der Inneren Stadt

                                                               Frau Wiltrud
Holik, Botschafterin der BR Deutschland



Podiumsgespräch

Univ. Prof. Dr. Ruth Wodak, Dr. Anna Mitgutsch, Dipl.-Ing. Jan Tabor,
Wolfgang Keller

               Moderation: Dr. Peter Huemer



Anschließend Eröffnung der Installation



Symposium             Freitag, 12. Mai 2000, 18:00 - 21:00 Uhr



18:00 Uhr               Prof. Dr. Wolfgang Neugebauer / DÖW Wien

                               Zur Problematik der NS-Vergangenheit in
Österreich



18:45 Uhr               Dr. Christian Schneider / Sigmund Freud Institut
Frankfurt

Die unendliche Geschichte. Von der Gegenwart der Vergangenheit beim
Nachdenken über die Zukunft demokratischer Gesellschaften



19:30 Uhr               Podiumsdiskussion mit den Referenten



Samstag, 13. Mai 2000, 10:00 - 13:00 Uhr



10:00 Uhr               Mag. Josef Prinz / Evangelischer Pfarrer, Linz

"Gott und das Böse": Biblisch-theologisches Aufbegehren gegen die Macht des
Verdrängens



10:45 Uhr                Ao. Univ. Prof. Dr. Gerhard Bodendorfer /Theologe,
Universität Salzburg

               Schuld und Sühne?! Die katholische Kirche und ihr schwieriger
Umgang mit der Shoa



11:30 Uhr                Podiumsdiskussion mit den Referenten



Samstag, 13. Mai 2000, 15:00 - 18:00 Uhr



15:00 Uhr                Dr. Lars Rensmann / Politikwissenschafter, Freie
Universität Berlin

Politisch-psychologische Nachwirkungen des Nationalsozialismus in der
Gegenwart: Zur Dialektik von neueren Vergangenheitsdiskursen und
gesellschaftlichen Einstellungen gegenüber dem Holocaust in Deutschland



15:45 Uhr                Dr. Margit Reiter / Historikerin, Wien

"Tischgespräche" intergenerationelle Kommunikation über den
Nationalsozialismus in familiären und gesellschaftlich Kontext in Österreich



16:30 Uhr                Podiumsdiskussion mit den ReferentInnen



 Eintritt:   250,- / 200,- (erm.)

Halbtag: 100, - / 70,- (erm.)





Kooperationspartner:                 Bundesministerium für Bildung,
Wissenschaft und Kultur

Amt für Stadtplanung Wien / Gruppe Wissenschaft

Österreichische Postsparkasse

blackbox.net











English version (summary)



... der werfe den ersten Stein!



On the occasion of the Austrian Memorial Day of the Victims of the Holocaust
Arche will present an installation of the Munich artist Wolfgang Keller. The
installation is a glass house  measuring 6 x 3 x 4 meters. In the rear end
it can be entered from two sides..  The opposite side is covered by a wooden
wall which prevents the view to the outside. Between the glass house and
this wooden wall is a reproduction of a portrait of Adolf Hitler mounted
behind special glass  which makes the picture at the same time reflecting
and transparent. Further reflections create the impression for the observer
that his own image is at the same time in front, behind and in Hitler's
head. The individual focus determines the relationship between the observer
and the portrait.

 The installation as a work of art deals with the relationship between
(collective) use of force and (individual) tendencies to violence. In this
context National Socialism serves as cultural identifier for our region.
"The focus of public  debate on the person of Adolf Hitler, on the
charismatic "Fuehrerstaat" on its totalitarian system has covered up the
extend to which a broad public has been involved in National Socialism;
especially the corruptibility of the individual, which was the prerequisite
for the functioning of such a system, is not sufficiently present in the
awareness of the public. (Prof. Dr. Wolfgang Neugebauer, Director of the
Austrian Resistance Archive, Vienna).

 In connection with the showing of the installation a symposium on
"(Dis-)Continuities in the Current Discourses on National Socialism" will be
held on May 12/13..

 The public is invited to answer questions in connection with totalitarian
phenomena as well as current discrimination and intolerance.










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