florian zeyfang on Tue, 13 Apr 1999 20:22:09 +0200 (CEST)


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<nettime> art_artisans


Sorry, only in German-is there a chance to have it translated?
Thanks!
Florian


---This article was published in "starship"#2, an art zine from
Berlin: http://www.star-ship.org---



Art und Artisans
Zu Fähigkeitsdebatten in Kunst und Internet



Da HTML-Layout vom Hobby zum Beruf wird, muß man sich ein Berufsbild
schaffen, das die Tätigkeiten faßt, die vor dem Bildschirm stattfinden
können und bei denen es sich in irgendeiner Weise um die Herstellung
eines Produkts dreht. In den Debatten im und um das Internet gibt es
eine, die sich den Begriff des Digital Artisan vorangestellt hat. Die
Ideen dazu begegneten mir z.B. in Manchester durch einen Vortrag von
Richard Barbrook bei einer Paralellveranstaltung zur ISEA 1998(1).

Mir drängten sich da zwei Fragen auf: zum einen welche Tätigkeit dann
zum Berufsbild KünstlerIn-im-Netz beiträgt und wie sich dieses dann zum
programmatischen "Handwerker" verhält, zum anderen, etwas
unvermittelter, die Diskussionen zum Berufsbild KünstlerIn überhaupt,
wie sie in letzter Zeit z.B. im Umfeld des USamerikanischen Magazins
October geführt wurden. Dort generiert sich das Thema  allerdings
weniger aus dem Wunsch nach einer Zusammenfassung divergierender
Disziplinen, sondern im Gegenteil aus dem Versuch, mit einer
Einschränkung des Berufsbildes wieder etwas “Klarheit” ins Kunstprogramm
zu bringen. Dazu wird immer wieder der Begriff "Skills" bemüht, also der
Fähigkeiten, die einen Beruf, in diesem Fall den des/der KünstlerIn,
auszeichnen und definieren.

Bei unterschiedlicher Zielsetzung bedienen sich beide, unabhängig
voneinander in Kunst und Net existierende Diskussionen eines
handwerklichen Vokabulars. Ansonsten gibt man sich separatistisch: Die
Kunsttheorie hat sich bislang in der Beurteilung von sogenannter
Netzkunst weitestgehend zurückgehalten. Kritik wurde bis auf wenige
Ausnahmen nur in Netzmagazinen geübt; die üblichen Kunstpublikationen
reagierten fast nur auf documenta - sanktionierte Projekte: sicherlich
auch Ausdruck einer gewissen Uninformiertheit und des Fehlens einer
kritischen “Präselektion”, auf die man sich beziehen könnte. Neuerdings
gelangt nun doch einiges an die Kunstoberfläche. Es wird geschrieben und
kritisiert, jedoch dabei vor allem die Distanz betont, als ob es sich
bei Kunst im Netz um etwas ganz anderes handeln müsse, das außerdem so
eindimensional ist, wie Computeroberflächen nun mal eingeschätzt werden.
Diese Distanz wird allerdings auch von der Seite der NetzkünstlerInnen
gerne betont. Doch die Annäherung ist nicht aufzuhalten und damit auch
die Vergleiche der Praktiken. Aber nicht nur in der Wahl der Begriffe
können Parallelen gezogen werden, nach denen die NetzkünstlerInnen und
ihre Arbeitsweise stärker dem KünstlerInnenbild einer aktuellen
Kunstkritik entsprechen, als diese es vermutet und vielleicht haben
möchte.


Um eine Artisandebatte im Netz führen zu können, müssen natürlich erst
die Grundlagen festgestellt werden: Aller Arbeit im und am Netz
gemeinsam ist, so will es die Digital Artisantheorie, ein Produkt, das
ähnlich dem Handwerker-/Kunststück einzeln erstellt wird. Meist
geschieht das in teilweise tagelanger Handarbeit und nur durch eine
Person, die über das Wissen zur Durchführung dieser Arbeit von Anfang
bis Ende verfügt oder diese Vorgänge sogar, teilweise oder ganz, selbst
entwickelt hat. Meist handelt es sich bei den Arbeiten um das Erstellen
von Software oder (HTML)Design. Erwähnt war schon Netzdesign und
-layout. Es kann sich auch um Musik handeln; es gibt inzwischen Leute,
die ihre “Geräusche” fast nur noch für Onlineradio produzieren, statt
für Konzert oder Plattenfirma. Auch das Betreiben von Mailinglists und
die Verwaltung von benutzeraktiven Websites wird dazugezählt, und
allerlei anderes(2). Im nächsten Schritt wird das erstellte Stück dann
mehr oder weniger multipel verteilt, oder besser: auch wenn es meist nur
unter einer URL (oder Adresse) zu finden ist, steht es theoretisch
endlos den Zugriffen zur Verfügung und wird auf X Computerbildschirmen
X-mal neu aufgebaut. 

Das steht gegen das Bild von industrieller Arbeit. Für den industriell
erzeugten Gegenstand sind viele Menschen notwendig, die jedes Stück am
Fließband zwar gleich, aber immer wieder neu herstellen. In den
industrialisierten Ländern hat sich die Arbeit auch durch die Vermehrung
der Computerarbeitsplätze gewandelt. Das Verhältnis zur arbeitgebenden
Instanz, zum Produkt, zur Verwaltung verändert sich, alles unter der
Prämisse einer Individualisierung. Ein Nebeneffekt dieser Entwicklung
ist, daß vieles an Arbeit gar nicht mehr als solche verstanden wird.
Viele Layouter/ProgrammiererInnen in den Freelance - Pools der Internet-
und Grafikfirmen machen ihre HTML-Seiten erstmal nebenbei, um sich ihr
Leben und ihre eigenen Konzepte zu finanzieren, ihre Kunst und
Videoprojekte. Nach einer Weile nimmt, aus ökonomischen Zwängen oder
auch aus Trägheit, die Arbeit am Layout immer größeren Raum ein und die
anderen Arbeitskonzepte werden eher durch Ausgleichsmodi wie Bungee
Jumping und längerer Urlaub auf Kuba ersetzt. Aber für die Arbeit am
HTML hat sich trotzdem noch kein wirklicher Arbeitsbegriff eingestellt.
Man arbeitet eigentlich nicht - aber ist damit fast die ganze Zeit
beschäftigt. Die Artisan - Idee könnte hier einen Ansatz bieten, indem
sie diese Tätigkeiten als Arbeit benennt. Ein weiteres Ziel ist es
ausgesprochenermaßen mit der Definition die Organisation zu ermöglichen,
da die Industriegewerkschaften keine adäquate Repräsentanz für
MedienarbeiterInnen zu bieten scheinen. Eine Ansicht, die auch von
vielen anderen Medientätigen geteilt wird(3).

Als Vorläufer für das neue Paradigma "selbstständiger" Arbeit wurde, von
der Kritik und offensiver noch von den AnhängerInnen, auch schon mal die
(bürgerliche) Vorstellung des/r unabhängigen KünstlerIn herangezogen.
Die Werbebranche hat als erstes mit diesem Bild gearbeitet. Wie die
Erzeugnisse der digitalen HandwerkerInnen werden auch Werbeproduktionen
einmal erstellt und dann vielfach verteilt. Wieder treffen sich die
beiden, nach den Werbung-ist-Kunst Kampagne der Achtziger; diesmal im
Internet. Das findet seinen Ausdruck auch in den Strategien der Kunst,
oft mit  nachteiligen Auswirkungen auf die Ergebnisse: Zu oft wurden im
Netz überaffirmierende Taktiken hervorgekramt, wie sie in den 70gern und
den späten 80gern in der Kunst abgehandelt wurden. Man kann die
fingierten Firmen, Zeitungen und Stadtseiten eher als Ironie wahrnehmen,
deren Kritikpotential von der Wirklichkeit längst ad absurdum geführt
worden ist und die nur mühsam karikieren, was dem Internet als
Werbemedium per se eingeschrieben ist. Diese Ergebnisse  wurden von der
chronisch unterinformierten Kunstkritik zu recht nicht beachtet: Zu
harmlos war der Umgang mit der technikaffirmierenden
Entertainmentqualität des Internethypes, aber auch zu wenig entertainend
waren viele der Ergebnisse. 

Fast wie eine Bestätigung betonten NetzkünstlerInnen in den letzten
Jahren im Internet und in Interviews seltsam einverständlich mit ihren
KritikerInnen, sie wollten gar keine KünstlerInnen sein. Die
Distanzierung von Kunst und privatem Kunstmarkt hatte für sie seit
Jahren die Funktion, sich auf technische, innermediale und inhaltliche
Aspekte beziehen zu können und dabei nur einen losen Bezug zur
Kunstgeschichte zu halten, diese gleichermassen ignorierend und
plündernd. Viel Halbinteressantes wurde außerdem mit dem Hinweis auf die
Schwierigkeiten des auszuübenden Handwerk legitimiert.

Der Begriff des Handwerks hat auch in die Formulierungen Einzug
gehalten, mit denen im Einflußbereich des US - amerikanischen
Kunsttheoriemagazins October, aber auch im Kölner Texte zur Kunst, um
die Definition des KünstlerInnentums gerungen wird. Die "Skills", die
der/die KünstlerIn zu entwickeln habe, sollen in Zusammenhang mit einem
von ihm zu erfindenden Medium stehen, welches ganz im Kunstkontext
situiert ist. Solchermaßen könne der Kunst die Autonomie und Radikalität
zurückgewonnen werden, die sie in den letzten Jahren verloren habe.
Zielscheibe der Kritik dabei sind Entwicklungen des letzten Jahrzehnts:
Ortsspezifische Kunst, Institutionskritik und Kontextkunst. Deren
Verbindungen von Disziplinen wie Soziologie / Sozialkritik mit Kunst,
oder in der Analyse von Kunst-als-Institution, sowie ihre Verquickung
von Produktion, Kunstkritik und Kuratorium in der Praxis sollen
Verflachung und selbst Institutionalisierung verursacht haben(4).

Kunst im Internet entlehnt ihre Legitimationsmuster zum Teil den
Kunstströmungen um Site Specifity, Institutional- und Cultural Critique.
Daher verwundert es nicht, daß viele der aktuellen Untersuchungen sich
auf diesem Hintergrund einer Kritik, die von kontraproduktiven
Verquickungen der Felder ausgeht, abspielt. Dabei arbeitet sich
ironischerweise die Netzkunst ganz brav an ihrem Medium ab, unter
Einsatz aller vorhandenen Skills: Heath Bunting beispielsweise hat mit
seiner Internetseite, auf der in blassem Grau ein Text über sein Leben
und Wirken steht, eine fast schon klassisch - steif anmutende
Konzeptarbeit der Hyperlink-Ära erstellt: jedes Wort dieser Vita ist
aktiviert, stellt also eine Verbindung zu einer anderen Netzseite dar,
und zwar einer, der das selbe Wort als Bezeichnung dient: zum führt zu
www.zum.org, Beispiel zu www.Beispiel.com - aber nur, wenn diese Seiten
durch Zufall existieren, ansonsten ins Leere: Bunting hat keine Seite
dafür neu eingerichtet. Seine Seite macht einen Kommentar zum
Sprachgebrauch des Mediums, in dem sie wahrgenommen wird, und zu einem
Kommentar der künstlerischen (Selbst)Stilisierung. Darüber führt sie
allerdings, trotz aller Links, nicht hinaus.
Ob denn aber Netzkunst über die Bedeutung von Mailart hinauskommt, wird
oft gefragt. Dabei bieten sich andere Vergleichsmöglichkeiten an, wie im
Falle von Olia Lialinas "My Friend Came Back From The War - After Dinner
They Left Us Alone"(5). Man folgt bei Lialina der Erzählung einer
privaten Begegnung unter besonderen Voraussetzungen (der Titel spricht
es an) in einfachen Texten und Bildern durch die aufpoppenden Frames,
die dabei, sich multiplizierend, immer kleiner werden: Alles hat am Ende
auf einer einzigen Seite stattgefunden. In der Abfolge von Bildern, der
Narration, denkt man an La Jetée von Chris Marker, der mit seinen
Standbildern den Film veränderte - das unerreichte Vorbild. Daß bei "My
Friend..." die Entwicklung der Bildgeschichte durch Mausklick beeinflußt
wird, also nonlinear sein soll, ist ein Medienspezifikum, fällt aber
kaum auf. Dafür wird man an James Coleman erinnert, der sich für seine
experimentellen Narrationen eines bereits von der Werbung entdeckten
Mediums bedient, nämlich einer Serie von Diaprojektionen. Coleman ist
auch Gegenstand eines Artikels, der als zentral für die Diskussion um
den Medienbegriff á la October angesehen wird(6). Der Unterschied zum
Netz, das so sehr von Werbung definiert wird, wäre, daß hier die
Strategien, derer sich die Künstler und die Werber gemeinsam bedienen,
zwangsweise noch nicht oder noch nicht lange wieder verworfen worden
sind, wie das Anfang der 80er bei Colemans Diaprojektionen der Fall war.
Das "Alter" eines Mediums spielt oft eine wichtige Rolle im Verhältnis
zu seiner Anwendung im Kunstbereich.

Im Gegensatz zu Coleman wendet Lialina das Internet allerdings nicht als
distinktives Medium an, das nur ihr zu eigen ist, oder das von ihr in
einen Kunstzusammenhang überführt wird. Allerdings finde ich die
Forderung nach einer Einzigartigkeit des Mediums eher abwegig. Bleibt
der Unterschied und die Verschiebung innerhalb der Kontexte: Ob das
Medium, das Werbefirmen genauso benutzen, in einen anderen Zusammenhang
überführt wird, scheint eine Frage der Auffassung von "Umgebung" zu
sein. Wer das Internet als ein homogenes Medium sieht und durch diesen
Umstand einen solchen Vorgang verunmöglicht sieht(7), geht sicher auch
davon aus, daß Kunst in anderen Medienumgebungen wie bspw. Fernsehen
oder Kino nicht produktiv oder sogar unmöglich ist. Aber, ist Video nur
Kunst im Kunstraum? Oder auch zuhause auf dem VCR, auf dem auch StarTrek
läuft? Wenn man eher davon ausgeht, daß die inzwischen sehr allgemeine
Entwicklung das Internet so weit ausdifferenziert hat, daß mindestens
von der Bandbreite eines normalen "gesellschaftlichen" Mediums
gesprochen werden kann, wird man auch innerhalb dieses Mediums genügend
differenzieren können, um künstlerische Funktionen darin fest zu machen.
Auf diese Fragen hat sicherlich die immer breitere Akzeptanz eine
Auswirkung: Wie viele Haushalte besitzen denn nun einen Internet -
Anschluß und wie, im Vergleich, sieht es mit der Verbreitung bei
Videorecordern aus? 

Und, wie erwähnt, der Film: in der Fortsetzung obiger Erwägungen bietet
sich ein kompletter kunst - und filmgeschichtlicher Strang an, wenn man
an die Filme und Videos von Charles Dekeukeleires, des frühen Peter
Greenaway, von Peter Rose oder auch Michael Snow(8) denkt, die mit den
schnellen Wechseln von kurzen Filmsequenzen zu Text, oder eben nur mit
Text, gearbeitet haben (Auch diese Beispiele ständen selbstverständlich
nur für einen Strang möglicher Entwicklungen im Netz). Diese
Filmemmacher haben schon 1930 an der Transformation ihres Mediums
gearbeitet, und da liegt natürlich die Frage nahe, wie sehr man das
Internet transformieren kann, wenn es denn selbst noch so gar nicht Form
sein sollte? Alle diese Strategien unterscheiden sich natürlich insofern
von der Praxis im Internet, als die BetrachterIn bei Film und
Projektionen keinen Einfluß auf den Ablauf, die Geschwindigkeit, die
Reihenfolge hat. Die Frage nach der "Interaktivität" und andere
technische Aspekte werden sich noch eine Weile in den Vordergrund
drängen, weswegen Lialina betont: "This work is more about love and
loneliness than about technology"(9). Vielleicht wird ja die
Theoretisierung des Standbildes, die Roland Barthes(10) fordert, neu
beleuchtet werden... .


Es sind nicht Probleme der Abgrenzung von Kunst und deren
Überschreitung, die zu der Gründung von Lialina´s Online Galery(11) 
führten, sondern eher der Wunsch nach finanzieller Anerkennung von
net.art. Unwahrscheinlich, daß es die erste Galerie im Netz ist, aber
die erste mit einem Konzept, das ausschließlich Netzkunst und zwar die
einer bestimmten "Richtung"(12)  handeln will. Buntings oben
beschriebenes Frühwerk geht angeblich für ein paar tausend Dollar über
den Tisch, aber wie genau die Eigentumsrechte sich gestalten, darüber
ist nicht viel zu erfahren.

 Die Galerie stellt eine höchst symbolische Abkehr von der im Netz so
wichtigen "Geschenkökonomie" dar. Noch scheint die Aktivengemeinde
unterschiedlicher Meinung zu diesem Thema zu sein. Daß eigentlich jeder
Teilnehmer immer mehr aus dem Netz nimmt als er hineingeben kann, daß
man für jedes RealAudioFile 100 Samples zur Verfügung gestellt bekommt,
daß ganze Betriebssysteme in Kollaboration entstehen, wurde immer als
das Prinzip, als treibende Kraft des Netzes angenommen. Dieses Prinzip
verursachte manchmal auch ein gewisses Gefühl des Zwangs zum Mitaufbau
der "neuen Gesellschaft", stille Konsumer wurden zu aktiverer Teilnahme
aufgefordert und ähnliches... . Die Firmen dieser neuen Gesellschaft
haben sich die Geschenkökonomie inzwischen auch zu eigen gemacht und
verkünden offen, daß nur, wer seine Angebote verschenkt, am Ende mit der
Resonanz rechnen kann, die dann die Werbeaufträge bringt. Wenn das
Öffentliche und die Freiwilligkeit derart ökonomisiert werden, kann der
Vorstoß zur Galerie und andere Versuche der Privatisierung als
Gegenreaktion verstanden werden. Die (Selbst)-Kommerzialisierung wird
dann zu einer Art Provokation und Abgrenzung. Diese Manifestation einer
"Avantgarde" äußerte sich in der Kunstwelt "draußen" in den letzten
Jahren auch immer lauter, nicht zuletzt als Nebeneffekt der oben
angesprochenen Debatten. Aber der Provokationsaspekt erschöpft sich dann
doch irgendwann.

An irgendeinem Ort kämpft das Internet immer um Akzeptanz. Deswegen wird
mit den Auswirkungen argumentiert: wieviele Stunden das Zapatista
Floodnet eine Regierungsseite lahmlegen konnte, oder daß die Übernahme
der CI einer bestimmten Firma der Künstlerin Rachel Baker tatsächlich
irgendwann Ärger eingebracht hat (nachdem sich die Firma mit ungewollten
Kommentaren konfrontiert sah). Nicht nur im Wunsch nach ökonomischer
Anerkennung  äußert sich der Verdinglichungseffekt der Galerie, bzw. der
Entwicklung, für die sie steht. Mag sein, daß der Wunsch nach
definierteren Dingen, oder nach der Definition der Produkte als Dinge im
Internet mit der Angst vor einer generellen Entstofflichung der Materien
und Debatten zu tun hat, also konträr zur ursprünglichen Euphorie der
Entkörperlichung verläuft. Mag auch sein, daß der Neoliberalismus und
gleichzeitig die Abstraktion des globalisierten Handels diesen Bedarf
gefördert hat, nicht nur im Internet. 

Die Autoren des Artisan Manifests beziehen sich jedenfalls ganz konkret
darauf. Allerdings mutet ihre, vielleicht ironische, Überhöhung des
Werts der Selbstverwirklichung in der Produktion von schönen Dingen, als
dem Gegensatz zu der im Neoliberalismus ausschließlichen Möglichkeit,
Handel zu treiben, etwas seltsam an , wie eine Karikatur des
bürgerlichen Künstlerideals und Produktionsethos(13).  Das Modell
Artisan im Netz ist ebenfalls aus dem Wiedererstarken der
Objektorientierung entstanden, der Rückkehr ins Land der Dinge, auch
wenn die Dinge "nur" digital sind. Nach den Texten, die sich Gedanken um
ihre Produkthaftigkeit machten, sind die HTML-Seiten, die auch nur Text
sind, die Werbefotos und die Avatare, oder besser ihre ErstellerInnen,
voll des Wunsches, daß sie auch Dinge seien: im realen Leben und in der
realen Kunst. Dabei dominiert wieder die individualistische
HerstellerInnenrolle. Man kann sich schwer der Attraktion entziehen,
selbst wenn einem der Verstand sagt, daß man damit auch gerade eine
Funktion der Ideologien des freien Welthandels dar - und herstellen
könnte. Das Handwerkermodell scheint die Funktion übernehmen zu können,
die Nachteile auszugleichen, ohne die Vorteile zu rauben. Es sagt: Hey
Nerd, darfst weiter allein vor deinem 20zöller hocken, oder vor deinem
Objekt. Hauptsache, es kommen wilde Sachen dabei raus.


1  Revolting, vom 15.8.98 bis 19.9.98 im DADI Building, Manchester -
eine Parallelveranstaltung zur ISEA (Intern.Symposium of Electronic Arts
/ Manchester - Liverpool 1998
2  Interessant wäre zu erfahren, ob die Konzepter und Layouter der
Pornoseiten, die inzwischen wohl die Mehrzahl der WWW-Angebote
ausmachen, auch gern gesehene Handwerker im Kreis der Artisanen wären
3  eine kurze, unrepräsentative Umfrage im medialen und künstlerischen
Teil meines Bekanntenkreises fiel zwar schlimm aus für die
Gewerkschaften, nach allem was ich weiß, ist die Lage aber sicher noch
katastrophaler. Den 24 Unorganisierten standen 4 unzufriedene
Gewerkschaftsmitglieder gegenüber, wobei 2,3 sich Interessens- und
Verwertungsgesellschaften angeschlossen hatten, wie der VG Wort und der
VG Bild, oder bspw. einer HistorikerInnenvereinigung. Argumentiert wurde
(auch) hier mit Unflexibilität, Trägheit und dem Eindruck, von der
Politik der G. in keinster Weise betroffen oder davon eingeschlossen zu
sein. Das Arbeitsbild der G. entspräche nicht dem eigenen. Die wenigen
Positiva schlossen Mitleidsargumente mit ein: ohne Mitglieder gäbs ja
keine G. mehr. Sonst zählten Presseausweis und Krankentagegeld (nur
Schweiz!). Als mögliche positive Alternative wurden “Netzwerke” (sic!)
genannt, denen mehr Effizienz zugetraut wurde. Also doch Gilden?
4  Zu dieser Problematik ist in den genannten Magazinen, aber auch
andernorts, bereits so viel publiziert worden, daß ich es hier bei
einer, allerdings problematisch verkürzten, Zusammenfassung belasse.
5  http://www.teleportacia.org/war
6  Rosalind Krauss, “... Und wendet euch dann ab?”, in: James Coleman,
Katalog Wiener Secession
7  So schreibt bspw. Isabelle Graw, dass in der Internetkunst
“Leistungen der Kunst wie ihre doppelte Markierung durch künstlerische
Autonomie und gesellschaftliche Verfaßtheit”aufgegeben würden, weil
durch den bereits mitgelieferten Kontext die Bestimmung von
“künstlerisch vermittelten Übergängen, Grenzen und Verschiebungen” nicht
mehr möglich sei. I.Graw, Man sieht was man sieht, Texte zur Kunst 32/98
8  Z.B. Histoire de détective, Charles Dekeukeleires, B 1930 - Dear
Phone, Peter Greenaway, GB 1976 - Secondary Currence, Peter Rose, GB
1983 - So Is This, Michael Snow, Can 1982
9  Im Interview mit T. Baumgärtel,
http://ourworld.compuserve.com/Homepages/Tilman_Baumgaertel/
10  Roland Barthes, “The Third Meaning”, in Image/Music/Text, New York
1977, zit. in R.Krauss, a.a.o.
11  http://www.teleportacia.org
12  Hier: den Arbeiten der KünstlerInnen, die sich unter dem Begriff
net.art zusammengefunden haben
13  “Under neo-liberalism, individuals are only allowed to exercise
their own autonomy in deal-making rather than through making things. We
cannot express ourselves directly by constructing useful and beautiful
virtual artifacts.” Digital Artisan Manifesto Abs.8,
http://www.hrc.wmin.ac.uk,>theory,>manifesto

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